Von Uyuni aus geht es für uns auf dem schnellsten Weg nach La Paz. Denn Daniel wurde vom Zahnarzt in Uyuni gesagt, er benötige eine Wurzelbehandlung. Die möchte Daniel lieber an einem Ort vornehmen lassen, an dem es besser ausgestattete Praxen gibt. Zum Glück hat er keine Schmerzen und so können wir einigermaßen entspannt fahren. An einem Mirador am nördlichen Ende des Salars genießen wir noch einmal kurz den Anblick des riesigen Salzsees und denken zurück an die traumhafte Zeit, die wir dort am Vortag verbracht haben. Wir lassen Cochabamba rechts liegen und fahren über das Altiplano nach Nordwesren.
Zwischendurch tanken wir mal wieder mit unserem treuen gelben COPEC Kanister, den wir seit Patagonien mit uns herumfahren, und der erst hier in Bolivien wirklich zum Einsatz kommt. Denn so können wir zum lokalen Preis an den Tankstellen Diesel bekommen.
Abendessen gibt an diesem Tag – wie für die LKW Fahrer – entlang der Straße. Pollo frito mit Pommes und Reis für 10Bols (1,25 EUR) pro Person. Ein Standardgericht zum Standardpreis – und wirklich lecker, insbesondere wenn man hungrig ist 🙂 Im Dunkeln parken wir vor einem Hotel in AyoAyo – kurz vor La Paz – und verbringen eine ruhige Nacht. Am nächsten Morgen stellen wir fest, dass wir an der “Collectivo” (Sammeltaxi) Haltestelle geparkt haben. Um uns herum tummeln sich einige Autos und Menschen, und fahren in Richtung Stadt. Wir auch.
Hinter einer Kuppe erwartet uns ein beeindruckender Anblick. Vor uns liegt La Paz, oder das was wir von der Stadt erahnen können, und darüber scheinen schneebedeckte Berge zu schweben. Es hatte dort oben in den vergangenen Tagen geschneit. Wunderschön!
Ein paar Kilometer weiter holte uns die Realität aber wieder ein: Verkehrschaos. Viele Autos, Umleitungen und unheimlich steile, enge, teils nicht asphaltierte Straßen. Vom Stadtrand bis zu unserem Stellplatz im südlichen Teil von La Paz (Zona Sur) brauchen wir fast zwei Stunden. Der Fox erklimmt den letzten Berg hinauf auf 3.600m tapfer im ersten Gang und dann rollen wir auf den Las Lomas “Campingplatz” von Marcos. Eigentlich ist es ein Werkstatt-Gelände, aber es bietet ausreichend Platz für Reisemobile sowie Duschen, WC, einen kleinen Aufenthaltsraum und eine Küche. Außerdem ist es ruhig hier und dennoch nicht weit bis ins Zentrum. Am besten sind jedoch die Menschen. Super freundlich, hilfsbereit und sympathisch. Mit den anderen Reisenden, die wir hier treffen verbringen wir eine sehr gute Zeit. Wir bleiben nämlich für eine ganze Woche 😉
So lange dauert es, bis uns die Zahnärzte in der kleinen Zahnklinik nach mehreren Untersuchungen, Röntgen, CT etc. sagen, Daniels Zahn sei in Ordnung. Wir sind beide froh, über diese Nachricht und auch beeindruckt, wie professionell die Praxis gearbeitet hat. Die Ausstattung ist moderner als wir es aus Deutschland kennen, die Menschen unheimlich hilfsbereit und die Preise ein Bruchteil dessen, was wir erwartet hatten.
Zum Glück bietet La Paz einiges, um uns die Zeit bestens zu vertreiben. Gleich zu Beginnen machen wir eine Stadtführung mit Gert. Gert kommt ursprünglich aus Deutschland, aber ist bereits 1981 von Chile aus nach La Paz gezogen. Er zeigt uns die Stadt aus verschiedensten Perspektiven – in jeder Hinsicht: geographisch, kulturell, kulinarisch und auch etwas politisch.
Wir starten unsere Tour in einer der 11 Seilbahnlinien, die die verschiedenen Stadtteile in La Paz und Alto miteinander verbinden, denn der Höhenunterschied zwischen ihnen beträgt bis fast 1.000 Meter. Es ist toll, so über die Stadt zu “fliegen”. Obwohl die Seilbahn kaum mehr kostet als ein Minibus, wird dieser von den meisten Menschen bevorzugt, da sie so quasi von Tür-zu-Tür fahren können. Auch wenn die Minibusse auf festen Linien verkehren, kann man an jeder Straßenecke zu und aussteigen. Es gibt gefühlt hunderte Routen in diesem dreidimensionalen Labyrinth von Straßen, die kreuz und quer horizontal und vertikal durch die Stadt führen. Die Schiebetüren werden meist noch während der Fahrt bedient, damit der Verkehr nicht allzu lang zum Stocken kommt.
Gert führt uns zunächst auf einen Aussichtsturm in Alto, das ist die Nachbarstadt von La Paz die sich von der Abbruchkante des Talkessels aus auf über 4.000 Meter in die Hochebene erstreckt. Von hier haben wir einen wunderbaren Blick bis hin zu den noch mit Schnee bezuckerten Bergen.
Hier oben an der Abbruchkante reihen sich auch die kleinen Hütten der Yatiris, so heißen die Schamanen in Bolivien. Bolivianer gehen gerne zu einem Yatiri, um sich Rat in jeder Lebenslage zu holen. Egal, ob es um den Bau einen Hauses, die Berufswahl, Streit mit dem Nachbarn oder gesundheitliche Probleme handelt, der Yatiri liest aus dem Fall der Kokablätter, was zu tun ist. Ein Ritual folgt, in dem verschiedenste Zutaten in ein Bündel gepackt und auf einem kleinen Holzfeuer vor der Hütte verbrannt werden. Die Zutaten für diese Rituale findet man in kleinen Läden oder Buden auf dem sogenannten Hexenmarkt.
Die Beratung einer Yatiri lehnen wir dankend ab, aber wir schlendern neugierig über den Hexenmarkt in Alto. Ziemlich streng steigt mir der Geruch der toten Lamas in die Nase, die hier überall herumhängen. Als das wichtigste Tier für die Menschen in den Anden, werden sie auch häufig für die Rituale verwendet. Angeblich wird ein Lama-Fötus in das Fundament eines jeden Hauses gelegt, das hier gebaut wird. Auch wenn gesagt, wird dass die Tiere nicht für diesen Zweck getötet werden, kann ich mir nicht wirklich erklären, wie der Bedarf an Lamas durch den “Gang der Natur” bedient werden kann… Noch befremdlicher ist es, als wir neben den toten Lamas Kirchen-Kerzen hängen sehen. Die Spiritualität kennt hier wirklich keine Grenzen – aber die Hütten der Yatiris stehen ja auch direkt gegenüber der Kirche San Franzisco 😉 Hier findet auch Sonntags immer der große Markt statt, auf dem man angeblich ALLES kaufen kann. Wir fliegen darüber hinweg….
Mit der Roten Seilbahnlinie geht es für uns wieder hinab nach La Paz. In einem kleinen Lokal erklärt uns Gert, wie man Salteñas “richtig” isst, nämlich ohne zu tropfen. Wir halten die kleinen saftig gefüllten Mürbeteigtaschen also vorsichtig in beiden Händen und schlürfen und knabbern bis zum letzten Happen. Lecker …. und wir haben bestanden. Wer Salteñas ohne Tropfen essen kann, der kann angeblich auch Küssen 😉
Weiter geht es vorbei am Theater und der ältesten Schule des Landes, durch schöne koloniale Gassen und einer Galerie des landesbekannten Künstlers “Mamani Mamani”. Nach der Pandemie kommt der Tourismus in der Stadt nur langsam wieder in Gang, aber einige der Bars und Cafés hier haben wieder geöffnet.
La Paz ist der Regierungssitz von Bolivien, und am Plaza Murillo, dem “Zentrum der Macht” verweilen wir etwas. Hier stehen mitten in der Stadt neben der Kathedrale von La Paz, sowohl der Regierungspalast als auch das Gebäude des Nationalkongresses – und zwar sowohl in der alten als auch in der neuen Version. Unter der Regierung von Evo Morales wurden direkt hinter den historischen Gebäuden hochmoderne Komplexe gebaut, die nur so von Ego strotzen. Die Uhr am historischen Gebäude des Nationalkongresses läuft entgegen des Uhrzeigersinns. Warum, fragen wir – weil, so die Antwort, die Sonnenuhr auf der Südhalbkugel auch linksherum läuft und „Bolivien seinen eigenen Weg gehen muss“….
Ein politisches Bestreben von Morales war es unter anderem, den im Salpeterkrieg an Chile verlorenen Zugang zum Meer zurück zu erlangen. Nicht mit Gewalt sondern über das Gespräch. Bis heute ist dies nicht erfolgt, aber auf der Fahne der Bolivianischen Marine prangt neben der nationalen und pluriethnischen Flagge, auf blauem Grund ein großer zehnter Stern, neben den kleinen Sternen der neun Departamentos des Landes. Der zehnte Stern steht für das Land am Meer. Wir sehen diese Flagge an Hauswänden in der Stadt. An anderer Stelle wird für Inklusion geworben und gegen Gewalt an Frauen. Ein Thema das in ganz Südamerika sehr präsent ist – leider.
Vom dem Killi Killi Aussichtspunkt haben wir noch einmal einen tollen Blick auf die Stadt aus einer anderen Perspektive und machen uns dann auf den “Heimweg” in die Zona Sur. Mit Seilbahn, Bus und Minibus fahren wir hinab in den gut betuchten Süden der Stadt auf 3.600 Meter.
Die folgenden Tage erkunden wir die Stadt noch auf eigene Faust. Wir wissen jetzt, wie das Seilbahnfahren und das Konzept der Minibusse funktioniert. Außerdem bekommen wir jede Menge gute Tipps, wo man in der Stadt besonders gut essen gehen kann.
Unser kulinarisches Highlight war definitiv der Besuch im Restaurant GUSTU. Es wurde 2013 vom von einem Mitbegründer des weltbesten Restaurants NOMA (in Dänemark) in La Paz eröffent. Heute wird es lokal geführt und zählt zu den 50 besten Restaurants Südamerikas. Das Menü, aus lokalen Zutaten, gleicht einer Reise durch das ganze Land, vom Amazonas bis in die Anden. Wir haben so etwas bisher noch nicht gegessen – sehr lecker!
Am Sonntag folgen wir einem Tipp von Carla, die uns am Tag unserer Ankunft mit ihrem kleinen roten Taxi zum Zahnarzt fuhr. Nun fährt sie uns nach Mallasa, im Süden der Stadt. Am Wochenende wird hier in den vielen Restaurants entlang der Hauptstraße aus allen Regionen des Landes gekocht. Zunächst sollen wir noch durch das “Mondtal” – Valle de la Luna – laufen. Nach all den anderen Mondtälern, die wir in Südamerika bereits gesehen haben, ist dies allerdings eher eine Enttäuschung 😉 Das Mittagessen entlohnt uns aber wieder. Wir wählen ein Restaurant mit Küche aus Tarija – Boliviens Weinregion, die wir (leider) nicht besucht haben. Es gibt Assado de Chancho, über Holzglut gegrilltes Schwein. Eine Portion reicht locker für uns zwei und schmeckt wirklich (überraschend) gut. So gut gestärkt, nehmen wir den nächsten Minibus in die Stadt und erkunden noch etwas die Gegend um die San Francisco Basilika.
Und weil es von so vielen Menschen gelobt wurde, gehen wir am Dienstag auch noch in die Cocina Popular. Wir sind 30 Minuten vor der Öffnungszeit am Restaurant in der Innenstadt und stellen uns mit vielen anderen Touristen an, um einen Tisch fürs Mittagessen zu ergattern. Für umgerechnet 10 EUR bekommt man hier ein wunderschön anzusehendes 3-Gänge Menü serviert. Geschmeckt hat es uns leider nicht ganz so gut. Das Sushi im New Tokyo an unserem letzten Abend in der Stadt war dagegen wirklich gut – vielleicht auch weil unsere Stimmung nach dem Zahnarztbesuch sehr positiv war, nachdem wir “grünes Licht” für unsere Weiterreise bekamen.
So verlassen wir den netten Las Lomas Campingplatz am 18. Mai sehr satt und erholt und kämpfen uns mit dem Fox durch das Verkehrschaos von La Paz in Richtung der “Todesstraße”….