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Wir sind erst zehn Tage in Kolumbien, aber haben unglaublich viel erlebt: von Pasto, an der Grenze zu Ecuador, fuhren wir über das „Trampolin de la Muerte“ zu den mysteriösen Steinfiguren nach San Agustin, verbrachten dann zwei Tage in der Hitze der Tatacoa Wüste bevor wir wieder in die kühleren Berge um Toche flüchteten. Die letzte Nacht haben wir an einer Mautstelle verbracht und im ersten Tageslicht überqueren wir zusammen mit vielen LKWs einen steilen Pass auf einer gut ausgebauten Straße. Am Ende unserer heutigen Etappe wartet „Luxus“ auf uns.
Ich habe uns bei einem sehr gut bewerteten Hostal in der Nähe von Filandia angemeldet. Normalerweise gibt es für Gäste des Hostals einen Transfer mit Jeeps, die hier Willy genannt werden. Mir wurde per WhatsApp versichert, dass wir es mit unserem Allrad-Sprinter aber auch direkt bis zum Haus schaffen sollten. Wir schaffen es, obwohl die Straße stellenweise sehr eng war und die wunderschön blühenden Büsche an der Zufahrt noch mit Latten nach oben fixiert werden müssen. Aber das ist kein Problem für die freundlichen französischen Besitzer des Tukawa Hostals. Sie lotsen uns noch auf den einzigen Stellplatz auf ihrem Grundstück und dann starten für uns drei Tage Micro-Urlaub. Wir schlafen im Fox, können aber ansonsten alle Annehmlichkeiten des Hostals nutzen: morgendliches Yoga, einen fantastischen Pool, Zugang zum Fluss, gutes Essen und eine passable Bar. An den täglich angebotenen Ausflügen nehmen wir nicht teil aber es gibt es super WiFi und den ganzen Tag kostenlosen Kaffee. Ganz normal hier, denn wir befinden uns inmitten von Kaffee- und Bananenplantagen. Eine perfekte Kombination, wie wir in den kommenden Tagen im „Kaffeeland“ lernen werden.
Das Tukawa Hostal wandelt sich am Wochenende zu einer beliebten Party-Location für internationales Klientel. Wir wollen den Ort als ‚Oase der Ruhe‘ in Erinnerung behalten und fahren daher rechtzeitig weiter in Richtung Filandia.
Das kleine Städtchen Filandia (Tochter der Anden) liegt zwischen grünen Hügeln und wir genießen den Ausblick vom großen Aussichtsturm am Rand der Stadt. Am bekannten aber kaum besuchten Overlander-Stellplatz, der Steelhorse Farm, parken wir den Fox und laufen am Nachmittag zu Fuß in die Stadt. Das Licht ist gegen Abend wie immer unglaublich stimmungsvoll und wir genießen ein kühles Bier am Plaza. Wir teilen uns den Tisch mit einer gut gekleideten Dame, die mit feuerrot geschminkten Lippen an ihrer Kaffeetasse nippt. Sie beschwert sich über den schlechten Service, ist dem zunehmenden Tourismus gegenüber aber recht neutral. Immerhin wurden für die Touristen die alten Häuser wieder schön gestrichen, sagt sie, das sei schön. Für das Abendessen habe ich uns einen Tisch im „angesagten“ Restaurant Helena Adentro reserviert. Das Ambiente ist sehr modern aber das Essen nicht sonderlich beeindruckend. Vielleicht sind wir auch einfach nicht „in“ genug 😉
Wir gehen hinüber zu Mocafe und bekommen einen hervorragenden Kaffee serviert. Es wird Deutsch gesprochen, das Klientel ist zahlungskräftig. Nur die laut arbeitende Kaffeeröstmaschine direkt neben unserem Tisch erinnert uns, dass wir nicht in Europa sind. Das hätte dort gegen jede Sicherheitsvorschrift verstoßen. Der Geruch ist wunderbar.
Müde setzten wir uns am Plaza in einen der bereitstehenden Willy, die hier als Taxi für Touristen eingesetzt werden. Der Willy hat das Synonym Jeep für Geländewagen geprägt. Er wurde seit den 1930er Jahren von Willys-Overlander in den USA gebaut. Die US Army fuhr damit bereits im 2. Weltkrieg – auch durch Deutschland. Heute dienen die robusten Allradfahrzeuge vielen Kolumbianern als unersetzbares Transportmittel in den steilen Hängen der Kaffee-Region. Und nebenher sind sie zu einer wahren Touristenattraktion geworden. In einem Affenzahn rumpeln wir durch die Dunkelheit zurück zur Steelhorse Farm.
Am nächsten Tag fahren wir nach Salento – dem Touristenmagnet in der Region. Eine kleine Stadt mit den typischen, bunt gestrichenen Häusern entlang der steilen Straßen und umgeben von Kaffeeplantagen. Salento ist auch Ausgangspunkt für einen Besuch imValle de Cocora. dem Tal, in dem die bis zu 70 Meter hohen Wachspalmen zu sehen sind und das wohl in jedem Kolumbien Reiseführer auf der Top 10 Liste steht. Wir hätten dem Rat von Felipe folgen sollen als er sagte, „Spart Euch Salento, das Erlebnis der Wachspalmen in den Bergen um Toche ist viel schöner“.
Aber wieder mal hat uns „fomo“ (fear of missing out) fest im Griff und wir fahren hin 😉 Immerhin nehmen wir nicht den direkten Weg, sondern kämpfen uns auf schmalen Sträßchen durch die steile Hügellandschaft. Gegen Mittag machen wir Rast bei einer Kaffee-Farm. Die sympathische Angestellte, die selbst keinen Kaffee mag, gibt uns während einer einstündigen Führung einen ehrlichen Einblick in die Arbeit auf der Kaffee-Farm. Hier wird nichts geschönt:
Kaffee wird auf vielen kleinen Farmen, meist Familienbetriebe, nach dem Prinzip des höchsten Ertrages angebaut. Fast alle bauen den robusten Arrabica Kaffee an, der hier gut gedeiht und relativ stabile Preise hat. Die Kaffeebohnen erlangen eine besonders gute Qualität, wenn die Pflanzen zwischen Bananenstauden stehen. Diese liefern Schatten und wertvolle Nährstoffe für den Boden. Die Kaffeekirschen werden von Hand gepflückt, vor Ort in simplen Maschinen geschält und dann auf überdimensionalen Schubladen in der Sonne getrocknet. Getrocknet sind die grünen Bohnen ein paar Monate lang lagerfähig. Je nach Bedarf wird der Kaffee zur Weiterverarbeitung an Großbetriebe verkauft – auch die schlechten Bohnen, die besonders stark geröstet zu minderwertigen oder Instant-Produkten verarbeitet werden. Die beste Methode um Kaffee zuzubereiten sei in der „French Press“, denn hier hat der Kaffee die Möglichkeit, sein volles Aroma zu entfalten. In der Tat wird uns in Kolumbien der Kaffee sehr häufig in einer kleinen Version der uns vertrauten Bodum-Kanne serviert. Je höher die Anbaulage, desto saurer Schmeckt der Kaffee, was wir bei der Verkostung am Ende der Tour verifizieren können. Dieser Kaffee ist für meinen Geschmack definitiv zu hoch gewachsen.
Betankt mit so viel Wissen nähern wir uns Salento. Immer mehr Willy-Jeeps, Pferde und Mountainbikes, alle beladen mit Touristen, tummeln sich auf dem schmalen Sträßchen. Wir passieren Salento und fahren direkt ins Valle de Cocora, parken auf einem ziemlich überteuerten Campingplatz und sind, obwohl wir uns auf das Schlimmste eingestellt hatten, schockiert. Schlangen von Menschen warten auf ein Willy-Taxi zurück nach Salento, Pferde laufen zwischen den Autos hin und her, überall wird Essen verkauf und dann ziehen auch noch Wolken auf.
Wir essen im überfüllten Restaurant ein sehr mittelmäßiges Gericht und verstehen erst dort, was hier los ist: es ist ein langes Wochenende, an dem anscheinend halb Kolumbien ins Valle de Cocora fährt. Wir beschließen also, relativ früh am nächsten Morgen aufzubrechen, in der Hoffnung, dass es dann etwas ruhiger ist. Das ist es in der Tat, aber das Tal liegt noch immer in Wolken und es regnet immer wieder für ein paar Minuten. Auf unserem Rückweg klart es auf und an den Selfie-Spots haben sich bereits Schlangen gebildet. Wir sind froh, als wir gegen Mittag wieder aus dem Tal hinaus rollen. Bis zu unserem nächsten Ziel Jardin werden wir es heute nicht mehr schaffen, und daher beschließen wir noch eine Nacht in Salento zu bleiben. Wie erwartet ist es auch hier unglaublich voll und wir spüren nicht viel vom angepriesenen Charme dieser Stadt.
Unser Fazit zu Salento und dem Valle de Cocora: Nach unserem tollen Erlebnis am Volcan Machín und in den Bergen um Toche, hätten wir uns diesen Ausflug getrost sparen können.
Nach Jardín gibt es zwei Wege, einen kurzen, beschwerlichen und einen langen auf gut ausgebauter Straße. Wir brechen früh auf, um den langen Weg zu nehmen, der durch Wartezeiten an etlichen Baustellen noch länger wird. Entlang des Weges sehen wir einige der Motels, in denen man für ein Schäferstündchen einkehren kann. Man parkt sein Auto direkt unter einem kleinen Bungalow und kann unerkannt hinauf in das Motelzimmer gelangen. Die Namen dieser Motels sind meist recht fruchtig wie Cherry oder Lemon 😉
Erst spät am Nachmittag erreichen wir unser Etappenziel. In Jardín stimmt für uns die Balance zwischen Tourismus und Authentizität. Am Hostal Las Flores finden wir einen zentralen Stellplatz für uns und den Fox. Das Haus gehört zwei sehr frommen Schwestern, die das Geschäft mit Reisenden anscheinend unter sich aufteilen. Die Gäste, des Hostals werden von der einen Schwester betreut, Overlander von der anderen… Wir haben es bis zum Schluss nicht ganz verstanden, aber wir haben bei der einen Schwester (Rita) gezahlt und auch Toilette und Dusche in ihrem Teil des Hauses genutzt, bzw. mit ihr geteilt.
Wir erleben Jardín als einen wunderbaren Ort. Wir genießen das langsame Tempo, die Annehmlichkeiten von tollen Cafés und Restaurants, aber vor allem die wunderschöne Landschaft um uns herum. Vom Ort aus kann man viel zu Fuß, mit dem Pferd oder einer Jeep-Tour unternehmen. Für alles gibt es aber nur ein oder zwei Anbieter, sodass es keine Massenabfertigung gibt. Wir erkunden die Gegend auf eigene Faust. Wir fahren mit der abenteuerlichen Seilbahn auf die andere Seite des Tals, spazieren entlang von Kaffeeplantagen zu einem kleinen Restaurant, wo exzellente Patacones (frittierte Bananen) und Kaffee serviert werden. Kolibris tanzen in den Büschen und an den Zuckerwasser-Spendern. Vorbei an einigen der unzähligen Wasserfälle spazieren wir nach einer sehr langen Pause zurück zum Ort.
Am Abend können wir die leuchtend roten Felsenhähne in einem privaten Reservat bestaunen. Sie sammeln sich dort zur Dämmerung in den Bäumen. So gelingt mir eine tolle Aufnahme von diesem beeindruckenden Vogel. Am nächsten Tag laufen wir hinauf zur großen Christusfigur, die in bekannter Pose, schützend ihre Arme über Jardín ausbreitet. Vor vielen Jahren fuhr eine Seilbahn hier hinauf. Wir erklimmen den Hügel zu Fuß, auf einem steilen Trampelpfad durch Bananen- und Kaffeeplantagen. Als Belohnung gibt es nicht nur eine schöne Aussicht, sondern etwas oberhalb der Christus-Statue ein wunderschönes Café, in dem wir uns bei Kuchen und Kaffee stärken. Der Rückweg geht bergab und wir genießen das warme Licht und das Grün um uns herum. Hoffentlich bleibt Jardín diese einmalige Atmosphäre erhalten. Das neu erschlossene Baugebiet am Ortsrand mit einer kleinen Hütte des Makler-Büros davor, deutet darauf hin, dass es hier wohl auch bald voller werden wird.
Nach drei Tagen verlassen wir Jardín in Richtung Medellín. Ein Kontrastprogramm, auf das ich mich so gar nicht freue, aber auch dieses Mal siegt die Neugier … .